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Warum Selfpublisher nicht unbedingt die schlechteren Autoren sein müssen

Posted by Dieter Paul Rudolph - 28. Januar 2016

Ich bin Selfpublisher. Nicht nur, aber auch. Und dass ich (wieder) für Verlage arbeite, hat damit zu tun, dass ich es eine Zeit lang nicht getan habe und mir anderweitig behelfen musste. Meine Entscheidung, es auf eigene Faust und mit vollem unternehmerischen Risiko zu versuchen, war keine der höheren Tantiemen, die ein Selfpublisher einstreichen kann (theoretisch jedenfalls; wie es in praxi aussieht, steht auf einem anderen Blatt). Nein, ganz simpel: Ich hatte keinen Verlag mehr. Meine Bücher haben sich nie gut verkauft, irgendwie war ich ein »Writer’s writer«, Kollegen lasen meine Texte gern, Kritiker ebenfalls, zahlende Leser leider nicht. Daran hat sich bis heute übrigens wenig geändert, aber dazu später mehr.


Die Verlage, für die ich geschrieben habe, gehörten allesamt in das Segment »klein, aber fein«. Die »Edition Funny Crimes« z.B., zwei Bücher maximal im Jahr, mehr als die Hälfte davon auf der »Krimi-Bestenliste«. Was hat es gebracht? Bestenfalls 1000 Verkäufe, meistens weniger. Fazit: Der Verlag ging klamm und heimlich den Bach runter, irgendwann gaben die Macher auf.
Zu diesem Zeitpunkt besaß ich bereits Erfahrungen als Selbstverleger, wenngleich nicht in eigener schriftstellerischer Sache. Ich habe – bei BOD damals, für furchtbar viel Geld – den besten deutschen Krimi des 19. Jahrhunderts drucken lassen, Carl von Holteis »Schwarzwaldau«, zum ersten Mal nach 150 Jahren wieder. Durch eine glückliche Fügung wurde das Buch in einer Literatursendung des Bayerischen Rundfunks vorgestellt und ich konnte binnen weniger Tage knapp 150 Exemplare davon absetzen. Aber das war vor der Blütezeit des Selfpublishing, kein Amazon KDP, kein Nichts. Ich habe die Bücher selbst verpackt, frankiert, verschickt.
Mein nächster Verlag war nicht weit von meinem Wohnort entfernt. Persönlicher Kontakt mit den Verlegern, lange Gespräche, gute Atmosphäre. Drei weitere Krimis erschienen, liebevoll gemacht, durch die Bank positiv besprochen. Beste Verkaufszahl: knapp 400.
Dazwischen immer wieder Ausflüge als Herausgeber. Krimijahrbücher, »alte Krimis«. Ergebnis: desillusionierend. Alle diese kleinen, feinen Verlage gingen kurz darauf Pleite und irgendwie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich jeden interessierten Verlag künftig dafür warnen sollte, mit mir Verträge abzuschließen. Sie konnten der entscheidende Nagel in ihrem Sargdeckel sein.
Nun gut. Nach drei Romanen mit »meinem« Verlag war Schluss. Nein, er ist nicht Pleite gegangen, er existiert heute noch. Aber er konnte sich so einen wie mich einfach nicht mehr leisten. Hinzu kam, dass ich es mir in »Krimikreisen« ziemlich verscherzt hatte. Acht Jahre lang habe ich einen Blog gepflegt, in dem ich beinahe täglich etwas über Krimis veröffentlicht habe. Rezensionen, Satiren, Liebeserklärungen, Abrechnungen mit »dem Betrieb«. Dass man sich damit Feinde schafft: klar. Dass diese Feinde fortan alles versuchen würden, einen zu diskreditieren (inklusive eines dramatischen Auftritts am Messestand meines Verlags), hat mich dann doch überrascht.
Kurzum: Irgendwann stand ich da. Ohne Verlag, ohne Aussichten. Der ideale Kandidat für Selfpublishing, die letzte Hoffnung für alle Gescheiterten.
Denn genau das will man uns erzählen. Selfpublishing? Aha, wohl zu schlecht für einen Verlag! Die Schublade voller Ablehnungsschreiben! Wieder einer, der in Deutsch eine Eins hatte und jetzt unbedingt »sein Buch« in Händen halten will. So nämlich sehen sie uns, die Blogger und Verlagsautoren, die Buchhändler, die Kritiker. Nicht alle, aber viele. Und wenn dann noch, wie jüngst, ein Plagiatsfall die SP-Welt erschüttert, klopfen sie sich zufrieden auf die Schenkel und denken: Haben wir es doch gewusst. Und sie denken es nicht nur, sie schreiben es auch.
Eine liebe Kollegin (die inzwischen das Romaneschreiben aufgegeben hat und nur noch Fernsehdrehbücher verfasst) hat mir einmal gesagt: »Wer gut ist, findet auch einen Verlag. Das ist sicher.« Ich habe das nie wirklich geglaubt. Bis dahin hatte ich nämlich keinen gefunden. Bedeutete das, ich sei ein schlechter Autor? Natürlich kann man das selbst am wenigsten beurteilen, aber was heißt eigentlich »schlecht«? Es heißt entweder »passt nicht in den Trend« oder »bringt keinen Profit«. Denn eins war mir immer klar: Schlechte Bücher wurden und werden immer veröffentlicht, Voraussetzung: hip und verkäuflich, dafür ist sich kein Verlag zu schade.
In früheren Zeiten, als es noch »richtige Verleger« gab und keine BWL-Fexe bestimmten, wie das Verlagsprogramm auszusehen hatte, existierte ein Phänomen namens »Mischkalkulation«. Es bedeutete, dass die verkäuflichen Titel eines Verlagsprogramms die weniger oder gar unverkäuflichen tragen mussten. Nur so etwa fand ein Arno Schmidt (der wohl wichtigste Prosaschriftsteller nach 1945 in Deutschland) einen Verlag, kurz bevor er drauf und dran war, das Schreiben aufzugeben und in irgendeinem Büro der »Scheiß=Großindustrie« unterzutauchen. Nur so auch blieb Wolfgang Koeppen, auch nicht gerade unbedeutend, der Literatur erhalten, trotz jahrzehntelanger Schreibblockade, von seinem Verleger immer wieder finanziell unterstützt.
Spätestens mit dem Beginn der Verlagskonzentrationen war dies Geschichte. Random House, Holtzbrinck – eine Menge »Player« machte sich daran, traditionsreiche selbstständige Verlage aufzukaufen und unter einem Dach zu vereinen. Damit endete die Schonzeit für die »guten, aber leider unverkäuflichen« Autorinnen und Autoren. Sie mussten Unterschlupf bei den noch selbstständigen mittelgroßen oder eben den »kleinen, feinen« Verlagen finden. Man kann sich das Gedränge vorstellen.
Noch einmal zurück zu meiner Zeit als Verlagsautor. In meinen Jahren als Krimiblogger hatte ich etliche Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, einige mit Krimipreisen nur so zugepflastert und aus keiner Geschichte der deutschen Kriminalliteratur mehr wegzudenken. Andere seit Jahren unentdeckt und auf der verzweifelten Suche nach einer Publikationsmöglichkeit. Allesamt erfolglos, allesamt verlagslos. Bei Dreien ist es mir gelungen, ihnen wenigstens bei »meinem« Verlag ein Plätzchen zu verschaffen. Inzwischen, ein paar Jahre später, sind sie alle wieder weg, zu wenig Umsatz, keine finanzielle Zukunft. Dem Verlag kann man daraus nicht mal einen Vorwurf machen. Er muss Geld verdienen, sonst geht es ihm wie so vielen anderen und er stirbt in Schönheit, aber er stirbt.
Die drei Autoren sind heute übrigens auch Selbstverleger, so wie ich. Sie sind weiterhin erfolglos, so wie ich unter meinem »richtigen Namen«. Aber was soll’s. Natürlich weiß ich, wohin ich da geraten bin. Ich besitze den gleichen Status wie die unausgelastete Hausfrau, die einen Arztroman nach dem anderen zusammenleimt, wie der pensionierte Oberstudienrat, der sein ach so interessantes Leben auf 800 Seiten länglich ausbreitet, wie der pickelnde Schüler, der den neuen Harry Potter zusammenfaselt oder … Na und? Unter meinem Pseudonym kann ich inzwischen vom Schreiben leben. Ich kann es mir leisten, völlig erfolglose Romane unter meinem Klarnamen zu veröffentlichen. Wollt ihr nicht lesen? Ich scheiß drauf. Ich habe ein paar witzige Projekte durchgezogen und widme mich der Talentförderung, SP machts möglich. Dass ich mit Leuten, deren Ergüsse mich ankotzen, ein Label teile, nehme ich dabei gerne in Kauf. Müsste ich beim noch so renommiertesten Verlag wohl auch. Dass ich mir von hochnäsigen, intellektuell limitierten Schwätzern nachsagen lassen muss, kein »richtiger Autor« zu sein, sondern nur ein Wanna-Be, der sich Amazon mit Haut und Haar verschrieben hat – so what? Ich weiß es besser.
Selfpublishing ist wie das Internet an sich: Fluch und Segen. Macht das Beste draus.

Dieter Paul Rudolph

Eine Antwort to “Warum Selfpublisher nicht unbedingt die schlechteren Autoren sein müssen”

  1. Ria said

    Yeah! Freiheit! Venceremos und so weiter … Nur wer Mist schreibt, kommt wirklich weit, so sieht es leider aus.

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