Untat. Warum Sie es tun sollten
Posted by Dieter Paul Rudolph - 23. Mai 2013
Vor zwei Wochen hat mir Guido Rohm ein Fresspaket mit Spezialitäten seiner Fuldaer Heimat geschickt. Darunter befand sich eine Dose, deren Etikett „Handgemachten Schwartenmagen“ verhieß, der sich nach dem Öffnen jedoch als (wohlschmeckende) Bierwurst entpuppte.
Aus dieser kleinen Anekdote, die in keiner der zukünftigen Guido-Rohm-Biografien fehlen sollte, lernen wir zweierlei. Erstens: Ich bin in Sachen Guido Rohm nicht „objektiv“ (Das bin ich eigentlich nie – und Sie sind es ebensowenig). Wer mir Fresspakete schickt, ist mein Freund, solange ihr Inhalt nicht vergiftet ist oder Zwiebeln enthält. Zweitens: In Guido Rohms Texten ist nicht immer das drin, was draufsteht. „Martialischer Blutrausch“ beispielsweise, wie ihn die Titel der ersten Romane des Autors versprechen, „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“, beide im Seeling Verlag erschienen, wahre Orgien – nein, nicht des Abschlachtens, sondern der Sprache und der Dramaturgie eines Genres, dessen oberste Maxime es zu sein scheint, sich bei Sprache und Dramaturgie gemeinhin keine großen Gedanken zu machen.
Auch in „Fleischwölfe – 0 – Eine Noirvelle“, zwei 2012 bei Evolver erschienen Erzählungen, feiert das Drastische fröhliche Urständ, wie auch schon in den Kurzgeschichten von „Die Sorgen der Killer“ (Kulturmaschinen, 2012). Nicht dass wir uns missverstehen: Alle diese Texte sind nicht „mehr als Krimi“. Sie „spielen“ auch nicht mit dem Genre. Sie tun viel mehr: Sie treten dem Genre in den Allerwertesten und befördern es dort hin, wo es hingehört: in die Literatur. Nicht die „Hochliteratur“, nicht in die hirnrissigen Gefilde „literarischer Krimis“, sondern schlicht: in die Literatur. Dorthin also, wo sich denkende Menschen und denkende Bücher treffen, wo im besten Falle die Wollust des Geistes eins ist mit der Wollust des von Spannung und Amüsement gestreichelten Körpers.
Man verrät kein Geheimnis, wenn man preisgibt, dass sich diese Bücher nun ja… eher schleppend verkauften. Trotz guter, teilweise euphorischer Kritiken, aber auch das ist keine Sensation. Guido Rohm hätte, wie es andere getan haben, resignieren können. Er hätte auch Marktforschung betreiben können, um sich dem Niveau derjenigen seiner KollegInnen zu nähern, die eben nur „spannende Krimis“ schreiben wollen (und nicht ahnen, wie hanebüchen die contradictio in adiecto inzwischen ist. Etwas, das nur aus Versatzstücken und Sprachkitsch besteht, kann per definitionem nur dann spannend sein, wenn es von Steinen gelesen wird. Okay, diese Romane werden von Steinen gelesen…). Er hat weder das eine noch das andere getan, weil es seiner Natur zuwiderliefe. Guido Rohm schreibt, weil er schreiben muss. Ein Mensch, der neugierig ist, wie er aus der Sprache heraussteigt, in die er sich selbst gewühlt hat. Das sind seltene Menschen und es sind meistens die besten Literaten.
Also schrieb Guido Rohm „Untat“ (Conte, 2013), einen knappen, präzisen Text, der nichts weniger ist als eine Zäsur. Ein Text über Henne und Ei, über das Böse und wie es hergestellt wird, über die Unschuld, deren oberstes Ziel es ist, Unschuld zu zerstören, über … ja, über was eigentlich noch? Finden Sie es einfach selbst heraus. Etwas, das ich hier unbedingt noch erwähnen muss: In „Untat“ passiert das, was nun wirklich nur in der besten Literatur passiert: Das Buch ist unglaublich komisch und diese Komik ist unglaublich deprimierend. Man wird blendend unterhalten – und blendend irritiert. Man lacht, während man weint und man weint, während man lacht.
Ich sagte, „Untat“ sei eine Zäsur. Nicht unbedingt für das Werk Guido Rohms, der nur konsequent weitergearbeitet hat. Aber eine Zäsur für den deutschen „Krimi“. „Untat“ ist die Sprache, die jeder im Babylon des Genres verstehen muss, der Moment der Wahrheit, in dem sich entscheidet, wie es um die Urteilsfähigkeit, das Niveau von KrimileserInnen bestellt ist. Konkret: Jede „Liste“, auf der „Untat“ nicht auftaucht, ist das, was sie wohl ist: eitles Blendwerk eitler Kritiker. Jeder Krimipreis, den „Untat“ nicht bekommt, kann ab sofort als obsolet bezeichnet werden. Jeder Leser, jede Leserin, der / die denn doch lieber einen „akribisch recherchierten Historienkrimi“, einen „Regiokrimi mit aktuellem Bezug“ oder einen „in die Abgründe der Seele führenden Psychothriller“ präferiert, erklärt damit seine endgültige Zugehörigkeit zur Sekte der ihrer eigenen Sedierung und Verblödung zuarbeitenden Masse. Ja, das sind harte Worte, aber dies ist nicht der Ort für diplomatisches Froufrou. Dies ist der Ort, eine schlichte Wahrheit auszusprechen: „Untat“ ist ein Text, den Sie mehr als einmal lesen werden. Ein Text, der Ihnen die Augen öffnet. Unter anderem dafür, mit welchem Mist man Sie gemeinhin traktiert, wenn Sie ein Buch öffnen, auf dem „Krimi“ steht und Kitsch drin ist.
P.S. Dies war keine Rezension, sondern eine Liebeserklärung.
dpr
Peter J. Kraus said
Es musste mal gesagt werden.
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