Krimikultur: Archiv

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Der ultimative Ratgeber

Posted by Dieter Paul Rudolph - 23. Oktober 2013

Ratgeberliteratur sells… und Herr Rudolph sowie die AutorInnen-Kooperative Der Dritte Raum wollen natürlich mitverdienen. Ja, nicht überraschend. Und weil sich Herr Rudolph für einigermaßen kompetent als Krimischreiber hält, verfasst er gerade einen Ratgeber über das Krimischreiben. So weit so üblich. Krimischreibratgeber gibt es fast so viele wie Krimis. Aber die wenigsten heißen „Wie man einen Kriminalroman schreibt und warum man es besser nicht tun sollte“. Das überrascht denn doch.

Wie uns der Autor wissen ließ, wird er auch seine verstreuten Notizen über „Was ist Krimi?“ darin verarbeiten. Das verspricht Zündstoff, aber in unserer Eventgesellschaft kann das ja nichts schaden.

Nun, Herr Rudolph ist noch mitten in seinem Werk. Es wird, das steht fest, im Dritten Raum erscheinen. Eine kleine Kostprobe aus der Einleitung hat er uns schon mal zur Verfügung gestellt. Wir drucken es hier ab und melden uns, wenn es Neues zu berichten gibt.

Guten Tag. Sie haben sich entschieden, dieses Buch zu lesen, weil Sie, wie ich vermute, gerne einmal einen Kriminalroman schreiben wollen oder aber bereits einen geschrieben haben, jetzt aber endlich einmal einen guten Kriminalroman zu schreiben wünschen. Das ist löblich. Und Sie erwarten mit Fug und Recht eine Anleitung, knackige Praxistipps, viele tolle Beispiele, die man als Blaupause für den guten Kriminalroman, den Sie schreiben wollen, verwenden kann. – Oder möchten Sie gar keinen guten Kriminalroman schreiben? Lieber einen erfolgreichen? Auch in Ordnung. Aber dann brauchen Sie nur einen Rat: Schreiben Sie ab. Natürlich nicht so wie Politiker bei ihren Doktorarbeiten… aber lesen Sie möglichst viele erfolgreiche Krimis, prägen Sie sich Struktur und Aufbau ein, verwenden Sie eine möglichst einfache Sprache (ich verkneife es mir hier, das „einfache“ durch „einfältige“ zu ersetzen), lassen Sie sich ein hübsches Cover basteln und starten Sie gemeinsam mit Ihrem Verlag eine Marketingkampagne. Garant dafür, dass Sie Erfolg haben werden, ist das natürlich nicht, jedoch unabdingbar, wenn Sie überhaupt Erfolg haben wollen. Ach ja: und tschüss. Dieses Buch wäre dann Gift für Sie, denn es will Ihnen ja zu erklären versuchen, wie Sie einen guten Kriminalroman schreiben können. Und der erste Rat lautet: Wenn Sie einen guten Kriminalroman schreiben wollen, schreiben sie am besten überhaupt keinen Kriminalroman.

Wie das? Nun, ganz einfach: Sobald Sie darauf geeicht sind, einen „Krimi“ zu schreiben, schreiben Sie halt einen Krimi. Sie haben, wie ich doch zu Ihren Gunsten annehmen möchte, viele Krimis gelesen und noch mehr gesehen, Sie sind also Experte für das, was Sie nun tun wollen. Das ist schlecht. In Ihrem Kopf sitzt bereits ein Muster, gegen das Sie nicht ankommen, versuchen Sie es erst gar nicht, ein Muster dessen, was „Krimi sei“ (um hier auch einmal den Konjunktiv einzuführen, der in Krimis zumeist in seiner missverstandenen Form zu besichtigen ist), eine unbewusste Handlungsanweisung gewissermaßen, die Sie durch Ihren Krimi wie ein lausiger Marionettenspieler hampeln lassen wird. Es beginnt mit einem Mord, Ermittlungen werden aufgenommen, der Protagonist tappt 200 Seiten lang von Verhör zu Verhör, sammelt Indizien, baut sie (natürlich falsch) zusammen, dann geschieht noch ein Mord, möglichst ein blutiger, eine Gruppe von Verdächtigen schält sich heraus, der Protagonist hat ein privates Problem (bitte keine drogensüchtige Tochter mehr, die Welt scheint voller drogensüchtiger Töchter, jedenfalls im Krimi), aber am Ende entlarvt er den Täter natürlich doch, denn ein Happy End, und sei es auch noch so traurig, gehört zum Krimi genauso wie die Vorstellung dessen, „der es war“ auf den letzten fünf Seiten. Das nennt man einen Whodunit und ist die beliebteste Krimiform. Es gibt weitere, auf die kommen wir noch zurück, aber sie unterscheiden sich kaum vom Whodunit, auch wenn Ihnen das die Werbung weismachen möchte.

Natürlich kann auch ein solcher Krimi „gut“ sein. Ich empfehle Ihnen dennoch, es anders anzugehen. Schreiben Sie einfach einen guten Text oder bemühen Sie sich darum. Einen Roman eben, der etwas mit Verbrechen zu tun hat. Verbrechen? Ja, klar… Nein, überhaupt nicht klar. Was Sie Verbrechen nennen, ist wahrscheinlich „ein Mord“. Ein Mord in einem Krimi ist tatsächlich ein Verbrechen – nämlich an der Intelligenz. Sie geben vor, mit dem Endgültigsten, dem Schlimmsten zu handeln, dem gewaltsamen Tod eines Menschen nämlich, aber in Wahrheit verwenden Sie diesen Tod wie eine routinemäßige Selbstverständlichkeit, er ist das Häppchen, das sie den LeserInnen hinhalten, „komm, komm, friss“, ein billiges Versatzstück, das Ihnen in der Familienpackung zur Verfügung steht, zwei Morde, fünf Morde, zehn Morde, ach was, rotten wir gleich ein ganzes Dorf aus, unwichtig, Hauptsache gruselig, Hauptsache das Quantum stimmt, Hauptsache Herr oder Frau Konsument kaut sich die Fingernägel ab.

Nein, das meine ich nicht, wenn ich „Verbrechen“ sage. Haben Sie bitte Respekt vor dem Tod, auch wenn er fiktiven, von Ihnen erschaffenen Personen widerfährt. Ermordete sind keine Komparsen, Opfer keine dramaturgischen Elemente, Unrecht und Leid nicht der Treibstoff, um gelangweilten Hausfrauen, kaufmännischen Angestellten und chillenden Schülern die Zeit zu vertreiben. Derart gebaute Krimis sind nur eines: Zeugnis der abgestumpften Blödheit von Menschen, ihrer Degradierung zu Moralkrüppeln und ihrer endgültigen Einweisung in die bunte und schöne Welt der Hirnlosigkeit. […]

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